Keine Leichtfertigkeit des Frachtführers, wenn Frachtgut an Person mit erforderlichem Frachtdokument übergeben wird

OLG München, Urteil vom 21.12.2011 – 7 U 2281/11

Kein leichtfertiges Handeln i. S. d. § 435 HGB, wenn das Frachtgut an eine Person übergeben wird, die die erforderliche Ausfertigung des Frachtdokumentes im Besitz hat (Rn. 11).

Tenor

1. Auf die Berufung der Streithelferin der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 16.5.2011 (15 HK O 1973/10) aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits sowie die Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Verlustes von fünf gebrauchten PKW der Marke BMW auf dem Transpost von München nach Port Said (Ägypten) vor Auslieferung an den Kläger.

2

Kläger und Beklagte schlossen am 17.12.2007 einen als Shipping Order bezeichneten Vertrag über den Transport der fünf PKW gegen ein Entgelt von 3.550,- €. Die Beklagte beauftragte ihrerseits die U.-S. L. GmbH (im folgenden: Streithelferin; die Beklagte hat der U.-S. L.GmbH den Streit verkündet und diese ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten), welche mit dem Seetransport wiederum die C. CGM SHAO (im folgenden: Reederei) beauftragte. Am 4.1.2008 stellte die Reederei ein auf den Kläger lautendes Namens-Bill of Lading aus, von dem eine Ausfertigung im Besitz des Klägers war. Der Kläger wandte sich telefonisch an die Beklagte und bat darum, dass anstelle des Namens-Bill of Lading ein Order-Bill of Lading ausgestellt werde, was die Beklagte bei der Reederei veranlasste.

3

Der Kläger trägt vor, seine Ausfertigung des Namens-Bill of Lading sei ihm in Ägypten entwendet worden. Eine Ausfertigung des Order-Bill of Lading habe ihn nie erreicht. Mitarbeiter der Reederei hätten Ausfertigungen des Order-Bill of Lading an Unbekannte gegeben, welche sich damit den Besitz der gegenständlichen Fahrzeuge verschafft hätten.

4

Die Beklagte und ihre Streithelferin tragen vor, die Mitarbeiter der Reederei in Port Said hätten die Ausfertigungen des Order-Bill of Lading in Port Said im Tausch gegen die klägerischen Ausfertigungen des Namens-Bill of Lading an eine offensichtlich vom Kläger bevollmächtigte Person gegeben. Ferner erheben sie die Einrede der Verjährung.

5

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

6

Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Mit ihrer Berufung verfolgt die Streithelferin das Ziel vollständiger Klagabweisung. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

7

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Streithelferin führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Dabei kann dahinstehen, ob der geltend gemachte Anspruch nach Grund und Höhe besteht. Denn ein eventueller Anspruch des Klägers wäre, wie der Beklagte und die Streithelferin zu recht geltend machen, jedenfalls verjährt (§ 214 BGB).

8

Aus den Gründen des angegriffenen Urteils (dort Ziffer 1) geht der Senat von einem Fixkostenspeditionsgeschäft (§ 459 HGB) zwischen dem Kläger und der Beklagten aus. Die Verjährung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs richtet sich daher nach § 439 HGB.

1.

9

Zugrunde zu legen ist die regelmäßige Verjährungsfrist von einem Jahr (§ 439 Abs. 1 S. 1 HGB). Die dreijährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 S. 2 HGB greift nicht, da der hierfür darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.12.2009 – I ZR 154/07TranspR 2010, 78 – 80) Vorsatz oder Leichtfertigkeit im Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintritts (§ 435 HGB) im Lager der Beklagten nicht hinreichend dargetan hat.

10

Unstreitig hat die Reederei ursprünglich ein Namens-Bill of Lading auf den Namen des Klägers ausgestellt und ebenso unstreitig hat der Kläger von der Beklagten die Umschreibung in ein Order-Bill of Lading verlangt, was die Beklagte sodann bei der Reederei veranlasste. Die Streithelferin hat substantiiert vorgetragen, dass das Order-Bill of Lading von der Niederlassung der Reederei in Port Said an eine Person ausgehändigt wurde, welche das ursprüngliche Namens-Bill of Lading in Besitz hatte und der Reederei zurückgab, ferner dass aufgrund des Order-Bill of Lading Delivery Orders ausgestellt wurden, aufgrund derer die Fahrzeuge an fünf Empfänger ausgehändigt wurden.

11

Legt man diesen Vortrag der Streithelferin zugrunde, scheidet neben dem ohnehin nicht vorliegenden Vorsatz ein leichtfertiges Verhalten im Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintritts in der Sphäre der Beklagten aus. Denn für die Mitarbeiter der Reederei in Port Said konnte sich – gerade auch im Hinblick darauf, dass der Kläger zuvor den Austausch des Namens-Bill of Lading gegen ein Order-Bill of Lading verlangt hatte – der Eindruck aufdrängen, dass der Empfänger des Order-Bill of Lading für Rechnung des Klägers handelte, da er das auf den Kläger lautende Namens-Bill of Lading in Besitz hatte. Auf der Basis dieses Vortrags fehlt es also in der Sphäre der Beklagten an leichtfertigem Handeln, zumindest aber am Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintritts.

12

Der Vortrag der Streithelferin ist in sich stimmig und plausibel. Dem für die Voraussetzungen des § 435 HGB darlegungs- und beweispflichtigen Kläger hätte es daher oblegen, diesem Vortrag zumindest eine ebenso plausible Darstellung der Vorgänge in Port Said entgegenzusetzen und unter Beweis zu stellen. Das ist ihm nicht gelungen. Insbesondere der Kernpunkt seines Vorbringens, das Namens-Bill of Lading sei ihm in Ägypten entwendet worden, entkräftet den Vortrag der Streithelferin nicht, sondern lässt sich durchaus damit in Einklang bringen. Somit hat der Kläger die Voraussetzungen des § 435 HGB nicht plausibel dargelegt geschweige denn bewiesen, so dass von einer einjährigen Verjährungsfrist auszugehen ist.

2.

13

Die Verjährung begann – da die Fahrzeuge den Kläger nicht erreichten – nach § 439 Abs. 2 S. 2 HGB mit Ablauf des Tages, an welchem die Fracht abgeliefert werden sollte. Da ein vereinbarter Ablieferungstermin nicht vorgetragen ist, ist von einer Lieferfrist auszugehen, die einem sorgfältigen Frachtführer unter Berücksichtigung der Umstände vernünftigerweise zuzubilligen ist (§ 423 HGB). Für den gegenständlichen Transport der Fahrzeuge nach Port Said erachtet der Senat eine Lieferfrist von maximal zwei Monaten ab Vertragsschluss am 17.12.2007 für angemessen, so dass die einjährige Verjährung im Februar 2008 begann und im Februar 2009 eintrat.

3.

14

Eine Hemmung der Verjährung nach § 439 Abs. III BGB ist nicht ersichtlich. Die Mail des Klägers an die Beklagten vom 12.11.2008 wahrt zum einen mangels eigenhändiger Unterschrift schon nicht die Schriftform (vgl. § 126 BGB) und enthält zum anderen inhaltlich auch nicht die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Beklagte. Solche wurden soweit ersichtlich erst durch Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 12.1.2010 und damit nach Eintritt der Verjährung erhoben.

III.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

16

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine Zulassungsgründe vorliegen (§ 543 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Das Verfahren betrifft einen Einzelfall, dessen Probleme vor allem im tatsächlichen Bereich liegen.

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